Internationaler Tag der Gerechtigkeit: Für mehr Gleichberechtigung in Indonesien
Die Freiwillige Hiba Drissi ging nach ihrem Abitur im Herbst 2023 weltwärts nach Indonesien. Über eine Nachbarin in ihrer Heimatstadt Wiesbaden kam sie bereits vor ihrem Freiwilligendienst mit Themen im Bereich der Frauenheilkunde sowie Sozialarbeit in Kontakt, wodurch sie sich für einen Freiwilligendienst im ältesten Frauenzentrum für Bildung und Entwicklung in Papua entschied.
Wie sich ihr Alltag in Indonesien gestaltet und was sie sich persönlich zum Internationalen Tag für Gerechtigkeit wünscht, hat sie uns einem Interview erzählt.
![Zwei Frauen lächeln direkt in die Kamera. Die Linke der beiden hält ihre Hand flach hoch, in welcher grüne Früchte liegen.](files/media/bilder/news/Freiwillige/2024/2024-07-18-Internationaler%20Tag%20Gerechtigkeit-Indonesien/Indonesien4.webp)
Was macht das Projekt genau?
Hiba: P3W steht für Pusat Pembinaan dan Pengembangan Wanita und ist das älteste Frauenzentrum für Bildung und Entwicklung in Papua. Ziel des Zentrums ist es insbesondere Frauen zu befähigen, sich selbst aktiv gegen Gewalt zu stellen und lokal politisch zu partizipieren. Neben der Weiterbildung von Frauen im Bereich der familiären Gesundheitsvorsorge, bildet das P3W auch Frauen aus weit abgelegenen Dörfern im Hochland zu „Sozialarbeiterinnen“ aus. Inzwischen hat das P3W auch einen eigenen Informations-, Dokumentations-, und Forschungsbereich, um Studien über soziale Traumata in Papua zu veröffentlichen. Das P3W fungiert daneben auch als Seelsorgezentrum und Zufluchtsort für häusliche Gewalt und Misshandlung.
Was sind dort deine Aufgaben?
Hiba: Die Mitarbeiterinnen leisten im P3W unglaublich wertvolle Arbeit für die Papua Gesellschaft. Durch die sprachliche Barriere konnte ich bei den Projekten wenig eigene Beiträge leisten. Meine Aufgabe bestand vor allem darin von Ihnen zu lernen, indem ich Projektarbeiten begleiten durfte. Zuletzt hatten wir gemeinsam mit Schüler*innen aus finanziell benachteiligten Familien der Region ein Gartenprojekt veranstaltet. Hier habe ich gemeinsam mit den Schüler*innen Plastikflaschen zu Blumentöpfen recycelt und über Umweltschutz und Nachhaltigkeit gesprochen.
Zu meinen Hauptaufgaben gehörte außerdem Englischunterricht für Mitarbeiterinnen, um sie zu einer besseren Kommunikation mit internationalen Partner*innen zu befähigen. Weiterhin war meine Hilfe auch beim Fundraising gefragt. Um Projektarbeiten zu finanzieren, verfügt das Zentrum über ein eigenes Hostel, indem gelegentlich Aktivist*innen und Tourist*innen aus aller Welt unterkommen. Hier waren meine Englischkenntnisse gefragt, aber auch beim Frühstück vorbereiten und kochen für die Gäste habe ich immer gerne geholfen. Mittlerweile arbeite ich überwiegend als Englischlehrerin in den umgebenen Regionen meiner Gemeinde und der Universität Samuel Kijine.
![Drei Frauen stehen in einer Küche. Eine der dreien steht an einem Herd mit einer großen Schopfkelle in der Hand sowie einer großen Pfanne vor sich. Alle drei lächeln in die Kamera.](assets/images/a/Indonesien3-b1b8a7b5.webp)
Gerechtigkeits- und Selbstbestimmungskämpfe in Indonesien
Hiba: Seit der indonesischen Übernahme Papuas vor knapp 60 Jahre kommt es immer wieder zu ausschreitenden Konflikten zwischen der Zentralregierung in Jakarta und der indigenen Bevölkerung, welche seit Jahren ihre Unabhängigkeit fordert. Das Streben nach Selbstbestimmung wird politisch aber auch mit Polizei- und Militärgewalt massiv unterdrückt. Indigene werden vermehrt als der militanten Widerstandsbewegung zugehörig verdächtigt, gefoltert, sexuell missbraucht und vergewaltigt.
Besonders Frauen als „schwächeres Glied der Gesellschaft“ fallen diesen Formen der Gewalt leicht zum Opfer. An staatlich unterstützten Zufluchtsorten oder psychologische Hilfe für traumatisierte Frauen mangelt es jedoch ganzheitlich. Weiterhin werden Frauen in Puncto Selbstbestimmung und Unabhängigkeit durch die „adat“, das sogenannte Gewohnheitsrecht, massiv beschnitten.
Daneben nutzen einflussreiche Großkonzerne bereits seit Jahrzehnten fruchtbares Ackerland in Papua zugunsten der eigenen Profitmaximierung. Landgrabbing ist hier ein unfassbar großes Problem, das immer wieder zu gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und den Indigenen führt. Die Menschen werden mitsamt ihren Familien von den Ländereien vertrieben und ihr Überleben unmittelbar gefährdet. Holz-, Palmöl- und Bergbaufirmen aus dem Westen kaufen das Land der Einheimischen bei der Regierung auf, wobei weniger als zehn Prozent der Entwaldungsprojekte in Papua mit Zustimmung der dort ansässigen Familien durchgeführt werden. Das Landgrabbing und die massive Abholzung haben nicht nur ökologische Folgen, es raubt den Papua ihre Lebensgrundlage.
Bist du in deinem Alltag als Freiwillige mit solchen Herausforderungen selbst konfrontiert worden?
Hiba: Ich muss sagen, dass man hier durch die „adat“ noch sehr an traditionellen Rollenbildern festhält. Das bleibt in meinem Alltag natürlich nicht unbemerkt. Rauchen, kurze Bekleidung oder abends als Frau alleine das Haus zu verlassen, sind für viele Menschen noch immer absolute No Go´s. Ansonsten fällt mir immer wieder auf, dass man es öffentlich meidet über Politik zu sprechen. Am Unabhängigkeitstag sollte ich aus Sicherheitsgründen meine Einsatzstelle nicht verlassen.
Mir ist es wichtig die indonesische adat anzunehmen und meine eigenen Überzeugungen herauszufordern und zu erweitern. Oft saß ich abends mit Freundinnen auf dem Balkon und fragte mich, ob sie es nicht missen, mal bis in die Nacht auszugehen. Aber ich habe gelernt, dass Sozialisieren hier einfach auch auf andere Weise funktioniert. Betelnuss kauen mit den Nachbarn, stricken, Motorradfahren, zusammen den Sonnenuntergang sehen, Karaoke singen usw. Zudem bewege ich mich überwiegend in sehr liberalen Kreisen. Mir sind meine Freunde hier schon sehr ans Herz gewachsen.
Ich verbringe ein Jahr in diesem Land. Ich bin diesen Dienst angetreten, um Indonesien zu erleben. Als Mitglied dieser Gesellschaft ist es mit wichtig zu demonstrieren, dass ich willens bin, die Kultur hier und damit eben auch die adat zu respektieren und anzunehmen, dementsprechend passe ich mich kleidungstechnisch an und versuche mein Verhalten bestmöglich an das der Einwohner anzupassen, ohne meine eigenen Überzeugungen und Bedürfnisse zu vernachlässigen.
![Fünf Personen stehen nebeneinander in einer grünen Landschaft. Alle lächeln in die Kamera, die rechte Person streckt ihren linken Arm in die Luft.](files/media/bilder/news/Freiwillige/2024/2024-07-18-Internationaler%20Tag%20Gerechtigkeit-Indonesien/Indonesien2.webp)
Welche drei Dinge verbindest du persönlich mit Indonesien?
Hiba:
- Den Reiskonsum: Reis ist hier wirklich das Grundnahrungsmittel. Morgens, mittags und abends isst man hier gerne Reis. Natürlich gibt es hier und da auch mal was anderes, aber Reis werde ich für immer mit Indonesien verbinden.
- Die lieben Grüße und intensiven Gespräche, wo immer man hingeht. Sei es auf dem Weg zur Schule oder zum Markt, überall wird man freundlich gegrüßt oder beschenkt. Die Menschen fragen, wo man hinmöchte, ob man eine Mitfahrgelegenheit braucht und wo man herkommt. Die Indonesier, die ich kennenlernen durfte, sind unfassbar aufgeschlossen, neugierig, und keinesfalls schüchtern.
- Karaoke: Indonesier lieben es einfach zu jedem Anlass Karaoke zu singen. Viele Familien haben eine riesige Soundanlage Zuhause und sonntags tönt es aus allen Häusern und Cafés.
![Drei elegant gekleidete Frauen stehen in einem Raum nebeneinander und lächeln in die Kamera. Im Hintergrund sind verschiedene Flaggen zu sehen sowie die Folie einer projizierten Präsentation.](files/media/bilder/news/Freiwillige/2024/2024-07-18-Internationaler%20Tag%20Gerechtigkeit-Indonesien/Indonesien1.webp)
Hast du einen Wunsch zum Internationalen Tag für Gerechtigkeit?
Hiba: Mein Wunsch zum Internationalen Tag der Gerechtigkeit ist es, dass wir der Stimme indigener Völker, wie solcher in Papua, mehr Gehör schenken. Ich wünsche mir eine Verbesserung für die indigenen Papua in der Nutzung von Land und Wald. Das Verhindern weiterer Entwaldung ist sowohl sozial als auch ökologisch unfassbar dringend. Hier wünsche ich mir einfach mehr öffentliche Aufklärungsarbeit, Publikationen und aktive Hilfeleistungen. Den Menschen hier muss endlich zugehört werden.
Vielen Dank für den spannenden Einblick in dein Projekt!